Versunkene Träume - Der esoterische Fortsetzungsroman
Josefine Dubouchard, eine attraktive Dunkelhaarige in den besten Jahren, die von ihren Freunden stets nur Jossi genannt wurde, lächelte etwas entnervt. Sie presste den Kopf an die Gardine ihrer schmucken Villa...
Manger & Feist war der Name einer berühmten Anwaltskanzlei in Völkingen-Ortsteil. Man konnte fürwahr sagen: „berühmt“, obwohl es keine etablierte Traditionskanzlei war von der Art, in der der Vater Seniorpartner ist und dem verwöhnten Junior den Sessel warmhält, bis der endlich geneigt ist, ihn einzunehmen...
Camilla Aspensill, die kühle Norddeutsche. Oder auch: Jossis Nemesis. Die andere Frau. Die Rivalin. Eigentlich eine unglaubliche Geschichte, diese Frau Aspensill, und dann auch wieder so banal, dass man sagen musste: es ist alles bekannt.
Jossi wurde aus ihrer kleinen Träumerei gerissen, die bei der Untreue ihres Gattens begann und auf wundersame Weise bei den Sternen und der qualifizierten esoterischen Lebensberatung von www.mein-kartenlegen.de endete.
Jossi startete den Anlasser ihres weißen VW Tiguan und fuhr eilig zur Konditorei Stern, in der sie schon von ihren Freundinnen erwartet wurde. Anders als früher, war jedoch ihre Stimmung gedämpft und ihre Erwartungshaltung nicht mehr positiv.
„Jossi, du bist doch nicht etwa der Esoterik verfallen?“ Senta, die vernünftigste und praktischste der Freundinnen, zeigte mit ihrer Gabel, auf der noch ein Rest Kirschstreuselkuchen klebte, auf die Neuangekommene.
Von draußen ertönte ein helles Quietschen der dichten Kies-Spur unter schweren Reifen. War es Lottis Mercedes, der ihr gefolgt war – ihr „Stern zum Fahren“, wie sie immer witzelte? Nein, ein blaugrüner BMW fuhr vor...
Jossis Gatte hatte wieder diesen aufgesetzten Ton, der sie so nervte. „Darling“, als ob er ein englischer Landedelmann wäre. Tatsächlich war es das, was Roland sich in seinem Leben am meisten gewünscht hätte: ein englischer Landedelmann zu sein.
Jossi besah sich anerkennend im lebensgroßen barocken Spiegel, der ihr Ankleidezimmer zierte. Sie war noch immer rank und schlank; ihr dunkelblauer Bikini betonte ihre Reize geschickt, ohne aufdringlich zu wirken.
Seit sie in der Villa lebte, hatte sie diesen Traum. Es war immer derselbe Traum, mit Fäden einer Erinnerung durchzogen, die sie nicht deuten konnte...
Von unten drangen Geräusche von plätscherndem Wasser empor, und von Zeit zu Zeit hörte man einen schweren Aufprall, der wahrhaft gigantisch klang – Hubertus Feist, wie er leibte und lebte, sprang vom Beckenrand ins Wasser.
Das Mobiltelefon klingelte und unterbrach Jossis Gedanken abrupt. Ob es ihre Single-Freundin Senta war, die sich wegen ihrer Probleme mit den aktuellen Liebes-Kandidaten ausweinen wollte?
Als Jossi die Glastür zum Schwimmbad öffnet, treiben rote Schlingen im Wasser. Der dicke Hubertus Feist treibt mit dem Gesicht nach unten auf der Wasseroberfläche...
Auf dem Boden des Pools, in der rechten hinteren Ecke, liegt ein verschnürtes Paket, das einen gesenkten Kopf, Arme und Beine hat. Um den Leib trägt es eine Manschette. Jossi stockt der Atem...
In der Garderobe lag noch ihr Mobiltelefon, das sie nicht zum Pool hatte mitnehmen wollen. Hastig fingerte sie auf der Tastatur herum, wählte die Auskunft und ließ sich mit der örtlichen Polizeibehörde verbinden.
Ihr Herz hämmerte wie ein Presslufthammer. Sie wollte im ersten Impuls in ihr Schlafzimmer laufen, um schnell einige Kleidungsstücke zusammenzusuchen und sich anzuziehen, doch dann fiel ihr siedend-heiß ein, dass sie dazu erst wieder ins Obergeschoß steigen musste, während hier unten…
Flucht nach vorn! Jossi erinnerte sich vage, dass in der Nebenstraße die alte Schule war. Den Weg kannte kaum jemand, denn sie hatten die Schule aus irgendeinem Grund in den Hang hinein gebaut, und es führten zwei Wege hin, der graugepflasterte Vorstadtstraßenweg, und der kleine, ein Schleichweg, den rebellische Kinder wählten, wenn sie sich aus dem Unterricht fortstahlen.
Wie durch Zauberhand geführt, gelangte Jossi nach ihrem holprigen Weg über die schmale Treppe wieder auf die Spur der Straße vor dem Schulgebäude. Sie raste weiter zum Kreisel in der Innenstadt, suchte verzweifelt ein Schild mit der Aufschrift „Polizei“. Wo nur war die Polizei in dieser Stadt?
Jossi nahm unsicher auf dem Stuhl gegenüber dem Beamten Platz, mit einer ängstlichen Scheu, die einer das Schicksal herausfordernden Skorpion-Frau unähnlich sah und nur der Situation geschuldet war. Ihr war gerade gar nicht nach Sharon Stone zumute, auch wenn ihr lockiges, feuchtes Haar im Nacken noch dezent nach Chanel Nr. 5, dem klassischen Parfum der Verführerinnen duftete.
Die Sonne glitzerte verheißungsvoll auf dem blauen Meer. Jossi hatte es geschafft. Sie hatte überlebt, hatte einen Doppelmord zwar nicht aufgedeckt, aber sie war mit dem Leben davongekommen. Sie hatte ihren Verfolger abgeschüttelt und vielleicht sogar der Polizei ein paar wertvolle Hinweise geben können – wertvoller als der Sermon, den Elfriede Schröter abgelassen hatte.